Presseberichte
Ostschweiz | Freitag, 23. Juli 2004


Die Last trägt die Geiss

Im Toggenburg unterwegs mit fünf Packgeissen
Ricken. Sie ist auf Trainingstour. In den Hügeln oberhalb von Wattwil. Ihre Begleiter sind gerade beim zweiten Frühstück. Brombeerstauden scheinen ein besonderer Leckerbissen zu sein. «Geissen sind gnadenlos. Sie fressen alles kahl», sagt Sandra Egli. Und: «Hecken und Büsche sind ihnen um einiges lieber als Gras.»

Gemächlich setzt sie den Weg fort. «Come on, boys», ruft sie den Tieren zu. Schliesslich bequemen sich diese, ebenfalls weiterzuziehen. «Geissen gehen langsam, eher langsamer als Menschen.»

«Spinnige Unterländerin»
Sandra Egli ist häufig mit ihren Geissen unterwegs. Und: Sie setzt sie auch als Packgeissen ein - wohl als Einzige in der Schweiz. Als «spinnige Unterländerin» sei sie anfangs von den Bauern auf den Toggenburger Hügeln und dem Ricken belächelt worden. Inzwischen haben sie sich an das Bild der jungen Frau und ihrer Geissen mit den bunten Tragtaschen gewöhnt.

Bis zu 40 Kilogramm
Sandra Egli besitzt fünf Böcke. «Sie sind kräftiger als die Weibchen.» Wie viel Gewicht vermag ein Tier zu tragen? «Einem ausgewachsenen Bock können 30 bis 40 Prozent seines Körpergewichts aufgeladen werden.» Er wiegt bis zu hundert Kilogramm. Sandra Eglis Geissen sind noch im Wachstum. Zehn Kilo hat sie ihnen an diesem Morgen aufgeladen - trainingshalber. Die Tiere sind zweieinhalbjährig; sie dürften noch zwei Jahre wachsen. «Sie werden nicht mehr viel höher, aber muskulöser.» «Linus» läuft ohne Gepäck mit. «Er muss erst zahm werden», sagt Sandra Egli. In der ersten Trainingsphase gewöhnt sie die Tiere an sich - dass sie mit ihr mitlaufen und nicht Reissaus nehmen. Am einfachsten gelinge das, wenn sie die Geissen von ganz klein aufziehe - «mit dem Schoppen». «Linus» bekam sie, als er halbjährig war. Er war für die Fleischproduktion bestimmt gewesen. Eines Tages klopfte sein Besitzer bei Sandra Egli an: «Ich habe einen herzigen Bock. Willst Du ihn?» Das sei ein Problem der Geissenhaltung. «Niemand will einen Bock. Verständlicherweise. Er stinkt drei Kilometer gegen den Wind.» Tief einatmen: Sandra Eglis fünf Böcke sind «feine» Tiere. «Sie sind kastriert», erklärt sie. Das Gestank-Problem hat sich damit in Luft aufgelöst.

Idee aus den USA
Auf die Packgeissen ist Sandra Egli in den USA gekommen. Über vier Monate zogen sie und ihr Partner mit «geleasten» Geissen quer durch die Staaten. Danach kaufte der Züchter die Tiere zurück - «ein gutes Geschäft für ihn». Noch vor der Rückkehr in die Schweiz wusste Sandra Egli - sie ist gelernte Primarlehrerin, studierte dann an der Uni Zürich Sport und unterrichtet heute an der Realschule Eschenbach -: «Das mache ich auch.» Der Zufall kam ihr zur Hilfe: Bei einem Stopp auf dem Ricken erzählte ihr der Tankwart: «Das Bauernhaus dort oben am Hang steht zur Miete». Sandra Egli fuhr hinauf - und lebt seither fernab von Nachbarn und Durchgangsverkehr. Vor dem Haus hat sie den Geissen ein Gehege gebaut - «es gibt kein Geissen-sicheres Türschloss», sagt sie, «Geissen sind sehr einfallsreich.» Einen Nachteil hat das idyllische Wohnhaus dennoch: Sandra Egli würde gerne mehr Tiere halten. «Es geht nicht. Es fehlt das Land.» Die angrenzenden Weiden sind verpachtet.

Gegengeschäft
«Bashi», «Lupo», «Nino», «Scout» und «Linus» werden langsamer - und hecheln einem Hund ähnlich. «Sie liegen zwar gerne an der Sonne und lassen sich den Pelz wärmen. Doch wenn sie in der Hitze arbeiten müssen, lassen sie die Zunge hängen», sagt Sandra Egli. Nächste Woche wird sie mit ihnen fünf Tage im Gotthard-Gebiet unterwegs sein. Die Geissen verdienen sich damit ihr Futter. «Ich schaue zu ihnen und füttere sie, sie tragen das Gepäck. Das ist unser Deal», sagt sie. Das Business, so scheint es, ist ihr angenehm, aber nicht das Wichtigste - jedenfalls aktuell nicht. «Ich biete das Geissen-Trekking nicht gross kommerziell an. Da die Tiere im Wachstum sind, will ich sie nicht zu sehr fordern.» Forciert geht sie dagegen ans Nähen und Verbessern der Sättel und Gepäcktaschen - alles selbst gefertigt. «Eigenbau und Eigenkreationen», sagt sie. Unten am Hang taucht das Bauernhaus auf. Die Geissen streben auf eine Hecke zu; sie scheinen hier, in nächster Umgebung des Zuhauses, jeden Busch zu kennen. Sandra Egli lässt ihnen Zeit: «Geissen sind Charaktertiere. Ich respektiere sie.» Genauso wie die Geissen sie «in ihre Herde aufgenommen» hätten.   Regula Weik

www.packgeissen.ch

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